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Content/Inhalt

von Mario Wimmer

In der pathosgeladenen Debatte um die “Zukunft der Medien” tauchen zwei Begriffe immer wieder in synonymer Verwendung auf: Content und Inhalt. Die Annahme einer Synonymität ist insofern gerechtfertigt, als dass Content tatsächlich die wörtliche Übersetzung von Inhalt ist. Allerdings spräche dann, außer einer Vorliebe für Anglizismen, wenig für die Verwendung von Content an Stelle von Inhalt, hätte nicht der Anglizismus Content im Zuge der Integration in den deutschen Sprachgebrauch eine zusätzliche Bedeutungsebene erlangt. Eine Bedeutungsebene die ihn de facto vom Synoym zum Antonym, vom Ausdruck für ein dem Inhalt Äquivalentes zum Ausdruck für ein dem Inhalt verschiedenes Inhalt macht.

Inhalt enthält eine qualitative und eine quantitive Komponente. Im Sinne von “Volumen” umschreibt Inhalt eine Quantität von Information, im Sinne von “Gehalt” umschreibt es eine Qualität der Information. Qualität sowohl der hinter dem Text stehenden Recherche, des Stoffes und seiner handwerklichen Verdichtung zum Text ebenso wie eine gewisse Unverkennbarkeit, Einzigartigkeit, Originalität und nicht zu letzt Inspiration. Texte informieren nämlich nicht nur auf der Ebene reiner Fakten, sie informieren umfassender, sie werten, verorten, schaffen eine Basis für den Umgang mit der Welt, sie inspirieren also.

Content verwirft diese qualitative Komponente weitgehend und setzt stattdessen ganz auf Quantität. Das Volumen, den Wert eines Textes als Aneinanderreihung von im günstigsten Fall Fakten, im schlimmsten Fall PR-Hülsen gemessen an der Zeichenzahl, ab. Weniger auf den Stoff, als mehr auf den Füllstoff der die Räume zwischen den Anzeigen füllt. Content als heiße Luft die den Reifen Medium auf das erwartete Format aufbläht, die Qualität ist sekundär, was zählt ist Quantität zur Erreichung eines bestimmten Volumens. Diese Texte inspirieren nicht, sie positionieren nicht, im schlechtesten Fall informieren sie nicht einmal mehr.

Das mag normativ geladen und wertend klingen und das tut es zu recht. Denn normativ geladen und wertend sind auch die Erwartungen die der Leser an einen Text stellt und die zunehmende Enttäuschung dieser Erwartungen ist es die die Zeitungen die Leser, dem Fernsehen die Zuschauer und dem Radio die Zuhörer entzieht. Content entwertet nicht nur das Medium, er entwertet den Zuschauer, den Leser und Zuhörer, degradiert ihn zu Klickvieh, Dauerglotzer und Querleser, dem es durch den Trichter Content die Werbung in’s Maul zu stopfen gilt. Die Medien klagen über die “Reproduktion” ihrer Inhalte in Blogs, Foren und den sonstigen Weiten des Internet, sie fodern “Leistungsschutzrechte” und verleugnen, dass die Leistung die sie vor Reproduktion schützen wollen zunehmend eben nur noch auf dieser basiert. Nicht die Tatsache, dass Google News Überschriften aggregiert bricht den Medien das Genick, die Tatsache, dass Inhalte so reproduzierbar und redundant geworden sind, dass mit einer Überschrift alles gesagt ist tut es.

Die Unterscheidung und Wertung von Inhalt und Content verneint keineswegs die “ökonomische Realität”. Sowohl Inhalt als auch Content müssen bezahlt und damit finanziert werden. Es ist nicht zuletzt der Kostenvorteil von Content gegenüber Inhalt der in den Medien für die Verdrängung des zweiteren durch den ersteren sorgt. Sie soll vielmehr gerade das Kostenargument als einen Scheinvorteil identifizieren, denn was der Distributeur mit Content an Kosten pro Volumen spart verliert er im Vergleich zu Inhalt an Erkennbarkeit, Reichweite und Relevanz pro Volumen, damit an Rezepienten und letztendlich auch ökonomischer Basis. Die Rettung der Medien ist nicht billiger Content, rudimentäre Klickstrecken, redundante dpa-Meldungen und rechtliche Holzhämmer, die Rettung der Medien ist Inhalt – informierend, positionierend und inspirierend.

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